Wie man ein Buch zum Leben erweckt
Der Vorlesewettbewerb der sechsten Klasse am PMHG
13. Dezember 2017: Als ich ankomme, wuseln schon überall Sechstklässler herum und stellen Stühle auf. Man spürt die Spannung, sobald man den Raum betritt, in dem der alljährliche Vorlesewettbewerb der sechsten Klasse stattfindet. Nicht nur die acht Kandidaten sind aufgeregt, ihre Mitschüler fiebern mit ihnen. Schon bevor es losgeht, tauscht man sich aus. Die Bücher auf dem Fensterbrett, die von der Buchhandlung Seiffert gestellt wurden, werden begutachtet.
Schließlich begrüßt Frau Ulkan, die stellvertretende Schulleiterin, die Schüler und die Jury. Es wird nochmals der Ablauf des Wettbewerbs erklärt. Zunächst wird ein, von den Schülern vorbereiteter, Wahltext gelesen, danach folgt ein Fremdtext.
Nach dem ganzen Trubel wirkt die nun aufkommende Stille noch angespannter. Die Augen richten sich auf die Jury, welche aus vier Lehrern und drei Schülerinnen besteht. Die Siegerin des letzten Jahres zieht die erste Kandidatin. Dieses Prozedere wird bei jedem Kandidaten wiederholt, um die Reihenfolge festzulegen. Man merkt unseren Vorlesern zwar die Aufregung an, aber sobald die meisten zu lesen beginnen, ist das egal. Das Zittern der Stimme tritt in den Hintergrund und sie konzentrieren sich nur auf die Geschichte, die Betonung, die Lautstärke. Bei jedem Kandidaten ist es anders, jeder hat seine eigene Technik. Jedes Mal schwingt auch irgendwo die eigene Persönlichkeit mit, was den Geschichten immer eine andere Note verleiht.
Nach jedem vorgelesenen Romanausschnitt applaudiert das Publikum, mal laut, mal leiser. Daran können wir von der Jury erkennen, wie die Meinung der Zuschauer über den Vorleser ist.
Insgesamt bin ich nach der ersten Runde sehr unschlüssig, wer denn nun am besten war, denn, da ist sich die gesamte Jury einig, das Wahltext-Lesen haben alle gut gemeistert. Nach einer kurzen Pause geht es in die nächste, entscheidende und schwierigere Runde: das Fremdtext-Lesen.
In derselben Reihenfolge wie in Runde eins beginnt die erste Kandidatin zu lesen. Die Lehrer haben das Buch „Meine total wahren und überhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb“ von Friedrich Ani ausgesucht. Begonnen wird von vorne und nach genau zwei Minuten wird das Buch an den nächsten Vorleser weitergegeben, welcher an exakt der Stelle weiterliest, an der sein Vorgänger aufgehört hat.
Nun merkt man die Schwierigkeit des Fremdtext-Lesens. Manche Fremdwörter über die man stolpert, manche Betonungen, die nicht passen oder unvorhergesehene Satzenden. So etwas kann man zwar üben, aber eine perfekte Vorbereitung gibt es nie, denn der Text wird immer fremd und überraschend bleiben. Trotz all dieser kleinen, ganz natürlichen Stolperer wird auch diese Runde zum Erfolg für die meisten der Vorleser.
Nun liegt es an der Jury zu entscheiden, wer nun doch das entscheidende Etwas hatte, wer durch kleine Unterschiede das Rennen macht. Zu diesem Zweck ziehen wir uns kurz zurück. Es fällt uns tatsächlich sehr schwer, uns zu entscheiden, denn wir haben es mit einer ganzen Reihe begabter Leserinnen und Leser zu tun. Letztendlich geben die Fremdtexte den Ausschlag.
Nachdem die Entscheidung getroffen ist, kehren wir zusammen mit Herrn Krause, dem Schulleiter, zurück zu den gespannten Kandidaten und Zuhörern. Die Spannung steigt, als Herr Krause das Wort ergreift. Er beginnt mit dem dritten Platz, welcher an Niklas Aldinger aus Klasse 6c geht. Das Publikum applaudiert und es wird ein Foto gemacht, dann kommt schon der zweite Platz: Joel Jetter, Klasse 6b. Auch er bekommt den verdienten Applaus. Und schließlich der erste Platz, Herr Krause macht eine Pause, um die Spannung zu steigern. Dann verkündet er: „Amelie Leonardy aus der Klasse 6d“ (siehe Bild).
Sie wirkt zunächst so als könnte sie es nicht wirklich glauben. Auch jetzt wird ein Foto gemacht, es gibt einen großen Applaus am Ende und dann ist der Wettbewerb auch schon vorbei. Obwohl es nur zwei Schulstunden waren, hat es sich viel länger angefühlt. Es war sicher eine gute Erfahrung für die Meisten, vielleicht auch ein Ansporn, mehr zu lesen. Das ist auch, was Herr Krause am Ende betont: Lesen ist wichtig und dieser Wettbewerb hat auch den Sinn, den Schülern das Lesen näher zu bringen. Durch das Bücherregal an unserer Schule, wo man Bücher ausleihen oder austauschen kann, wird dies zusätzlich unterstützt.
Der Wettbewerb hat sicher ins Schwarze getroffen, denn danach haben sich viele die ausgestellten Bücher noch einmal näher angeschaut.
Mein ganzes Lob gilt aber unseren mutigen Vorleserinnen und Vorlesern. Sie haben sich getraut vor der gesamten sechsten Stufe, fast 120 Schüler, vorzulesen. Ich halte das für besonders mutig, weil Vorlesen eine schwierige Sache ist. Der Autor eines Buches hat eine bestimmte Vorstellung, der man vielleicht nie gerecht werden kann, aber wenn man gut vorliest, dann kommt man dieser Vorstellung so nah wie möglich. Das ist eine Kunst, die man würdigen sollte, denn normalerweise muss man sich dafür gut vorbereiten. Speziell unsere Sieger haben es aber bei einem Fremdtext geschafft, ohne Vorbereitung und Üben, das Buch zum Leben zu erwecken. Und genau darum geht es. Daher herzlichen Glückwunsch! (Leonie Weißenhorn, 10c)