Kritik – Nichts im Leben hat Bedeutung
„Wir hätten aufhören sollen, bevor es soweit gekommen war. Jetzt ist es irgendwie zu spät.“
Ein Satz der von Reflexion und Selbstkritik zeugt. Ein Satz, der die Naivität einer jungen Gruppe von Schülern widerspiegelt und ein Satz, der auf das Ende hindeutet.
Präsentiert wird uns eine Schulklasse nach den Sommerferien: ein freundschaftlicher und offener Austausch über den Urlaub zwischen den verschiedensten Leuten. Solange, bis Pierre Anthon den Raum betritt. Er gehört nicht zu den anderen Schülern, er ist ein Provokateur! Er provoziert mit Aussagen, die die Mitschüler in ihren Grundfesten erschüttert und all das verneinen, an was die Schüler glauben. „Nichts im Leben hat Bedeutung!“ Um Pierre Anthon vom Gegenteil zu überzeugen, errichten die Schüler einen „Berg der Bedeutung“ auf dem all die Dinge geopfert werden, welche für die Jugendlichen eine besonders große Bedeutung haben. Die Thematik des auf dem Roman „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ der dänischen Jungendbuchautorin Janne Teller basierenden Stückes, welches uns die Theater-AG des Philipp-Matthäus-Hahn-Gymnasiums an den zwei Abenden des 14. und dem 15. Februar präsentiert, ist ernst:
Was passiert wenn Jugendliche mit der Negierung der Wertvorstellungen, die ihnen ihr ganzes bisheriges Leben vorgepredigt wurden, konfrontiert werden? Welch eine Eigendynamik kann eine einfache Aktion entwickeln? Die ambitionierte Idee, die ihre Grundwerte bewahren soll, entwickelt sich in eine Spirale der Brutalität. Sind es zu Beginn noch symbolische und ersetzbare Dinge, die geopfert werden, nehmen die Forderungen von Schüler zu Schüler immer perfidere Ausmaße an, und jeder, der etwas aufgeben musste, fordert beim nächsten Schüler mehr. Als gegen Ende ein Mädchen ihre Unschuld und daraufhin einer der dabei beteiligten Jungs seinen Finger opfern muss, erreicht die Grausamkeit ihren Höhepunkt. Dabei kommt das Stück ohne das direkte Zeigen dieser Taten aus, ohne dadurch an Wucht zu verlieren, was uns zu einer der Hauptstärken des Stückes bringt:
Denn neben der Romanvorlage ist besonders die Inszenierung hervorzuheben. Diese entstand in einem eineinhalbjährigen Prozess hauptsächlich durch die jungen Schauspieler selbst und lediglich unter der Leitung der Begleitlehrer der Theater-AG, Kathrin Kurz und Jörg Hammer. In dieser Zeit setzten sich die Mitglieder intensiv mit dem Buch auseinander und entwickelten ihre eigene Bühnenfassung und Interpretation. Das bedeutete viel Arbeit: Monologe schreiben, Textpassagen dialogisieren, Rollenfindung. Doch das Endergebnis kann sich sehen lassen. Die Adaption des Romans ist so gut gelungen, dass das Theaterstück in erster Linie auch als solches funktioniert, ohne dabei die Handlung oder die Kernaussage der Vorlage zu verfälschen. Dabei spielt das Theaterteam mit Kontrasten. Trotz der Ernsthaftigkeit der Handlung verkörpern die Schauspieler gekonnt die gewisse Naivität junger Menschen. Allgemein ist die schauspielerische Leistung auf hohem Niveau; die Rollen werden durchweg glaubhaft dargestellt und nicht durch mangelnden Elan oder für Schüler oftmals so typisches „Overacting“ verzerrt. Durch die eigene Dialogisierung wirken die Gespräche näher an der schulischen Realität, als in vielen vergleichbaren Stücken. Auch Charakterentwicklungen erscheinen durchweg nachvollziehbar und nicht erzwungen und zeigen dabei, welche Folgen das Aufgeben der eigenen Werte auf die Identität des Einzelnen hat. In den meisten Fällen wird die Entwicklung auch durch eine äußerliche Veränderung der Personen verdeutlicht. Die musikalische Begleitung, eingespielt von Mitgliedern der Technik-AG, ist meistens passend gewählt und unterstreicht die Stimmung der Szene entweder auf zurückhaltende Art oder wird gezielt als Stilmittel im Vordergrund verwendet. Allerdings nimmt sie dem dramaturgischen Höhepunkt, in dem Pierre Anthon zu Tode kommt, etwas an Ernsthaftigkeit. Von da an zieht das Stück noch einmal das Tempo an. Nach Anthons Tod wird die weltweite Presse auf die Schulklasse aufmerksam und auch Kunstsammler bekunden ihr Interesse an dem „Berg der Bedeutung“. Mit dessen Verkauf und den Presseaussagen der Kinder, die im einstimmigem Chor einer Armee gleichend mitteilen, sie hätten die Bedeutung gefunden, enthüllt sich jedoch das wahre Ergebnis: das Gegenteil ist der Fall! Die Gruppe hat sich selbst zerfressen, von der anfänglichen Freundschaftlichkeit ist nichts mehr übriggeblieben und von der angeblich gefundenen Bedeutung ist nichts zu sehen – der Berg der Bedeutung ist verkauft. „Alles fängt an, um aufzuhören“, so auch das Theaterstück, dass den Zuschauer nach 60 Minuten Spieldauer mit einem Denkanstoß und mit der Frage, welche Dinge man selber opfern müsste, nach Hause entlässt.
Alexander Bähr, Jahrgangsstufe 2